Aktienanalysen

Wirecard – Vom Highflyer zum Pleitegeier?

Wer hätte das bis vor Kurzem noch gedacht? Der einstige Highflyer und Anlegerliebling Wirecard ist nun zum potenziellen Pleitegeier und zur potenziellen Zielscheibe von Sammelklagen von geschädigten Anlegern geworden.

Jahrelang konnte sich das Unternehmen gegen sämtliche Vorwürfe bezüglich der Intransparenz, den vermeintlich erfundenen Geschäftspartnern sowie potenziell dubioser Bilanzierungspraktiken behaupten. Dies ging soweit, dass Kritiker des Unternehmens wegen Marktmanipulation verurteilt wurden.

Es scheint eine Ironie des Schicksals zu sein, dass es am Ende eine simple Bankbestätigung und damit in Verbindung ein kurzer Satz am Ende der Ad-hoc-Mitteilung ‚Wenn ein testierter Jahres- und Konzernabschluss nicht bis zum 19. Juni 2020 vorgelegt wird, können Kredite der Wirecard AG in Höhe von ca. 2 Mrd EUR gekündigt werden‘ gewesen sind, die das House of Wirecard zum Einstürzen brachten. Offensichtlich wurde versucht, das Unvermeidbare bis zum bitteren Ende aufzuschieben.

Erst wurde aus Shortseller-Kreisen die Bilanzierung der Treuhandkonten als Barmittel in Frage gestellt. Schließlich entpuppte sich, dass – nach den uns aktuell vorliegenden Informationen – diese Treuhandkonten in Höhe von knapp zwei Milliarden Euro gar nicht erst existierten.

Hierbei ist zu erwähnen, dass nach Veröffentlichung des KPMG-Berichts sämtliche Alarmglocken von Anlegern hätten läuten müssen. Denn der KPMG-Bericht, welcher im Übrigen mehrmals verschoben wurde, war desaströs ausgefallen und erwähnte unter anderem die fehlende Bankbestätigung zwecks Nachweis der Existenz der Treuhandkonten.

In diesem Zusammenhang hatte ich unmittelbar nach der Veröffentlichung des KPMG-Berichts zwei Kommentare im RFD-Wikifolio verfasst – einen vor der Durchsicht des KPMG-Berichts und den anderen danach.

Wie an den beiden folgenden Kommentaren erkenntlich ist, haben die Feststellungen im KPMG-Bericht auch mich sehr enttäuscht und Zweifel an den Geschäftspraktiken des Unternehmens geweckt, obwohl ich lange Zeit positiv und bullisch gegenüber dem Unternehmen eingestellt war. Dies führte dazu, dass ich die Wirecard-Position im RFD-Wikifolio erst einmal auflöste. Denn, wenn sich die ursprünglich getroffenen Annahmen ändern, muss man als Anleger eben entsprechend handeln. Daher bin ich auch kein Verfechter von striktem Buy & Hold:

  1. Vor Durchsicht des KPMG-Berichts:

2.  Nach intensiver Durchsicht des KPMG-Berichts:

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Ich muss zugeben, dass ich kurz vor Veröffentlichung des Jahresabschlusses eine kleine Position im RFD-Wikifolio aufgebaut habe, die bis zum Veröffentlichungstermin auch gut lief.

Einerseits veröffentlichte das Unternehmen mehrere optimistische Mitteilungen bezüglich eines uneingeschränkten Testats. Andererseits kaufte der ehemalige CEO Markus Braun sogar parallel Aktien des Unternehmens. Drittens bewegte sich die Aktie bis zum charttechnischen Widerstand, sodass ein potenzieller Ausbruch bei guten News unausweichlich erschien. Wer will schließlich eine potenzielle Befreiungsrally verpassen? Dieses Szenario entpuppte sich jedoch aus bekannten Gründen als totales Fiasko.

Dieser Umstand ist umso gravierender, da Wirecards Investor Relations-Abteilung bis zwei Tage vor dem Veröffentlichungstermin des Jahresabschlusses E-Mails an verunsicherte Anleger verschickte, wonach das Unternehmen von einem uneingeschränkten Testat des Wirtschaftsprüfers ausginge. Dies hielt mich unter anderem davon ab, die Wirecard-Position ein Tag vor und am Tage der Veröffentlichung – trotz der zeitlichen Verzögerung – noch nicht aufzulösen.

Wie geht es jetzt weiter?

Die Reputation des Unternehmens ist ruiniert, die Anleger flüchten in Scharen, Geschäftsbeziehungen werden vermutlich gekündigt werden, selbst Boon-Kunden (u. a. bestehend aus treuen Anlegern des Unternehmens) ziehen ihre Gelder ab, weil sie sich getäuscht fühlen und mit dem Unternehmen nichts mehr zu tun haben möchten.

Auch wenn die vom Unternehmen angebotenen Payment-Lösungen auf dem neuesten Stand der Technologie sein sollten – einige davon wurden auf der letzten Hauptversammlung ausgestellt – wird eine Fortführung des Geschäftsbetriebs unter demselben Namen und mit den noch vorhandenen Führungspersonen wohl schwer möglich sein.

Angesichts der Anheuerung des Restrukturierungsspezialisten Houlihan Lokey, welcher unter anderem auch Steinhoff, Lehman Brothers und Enron zu seinen (ehemaligen) Klienten zählt, sieht es auf den ersten Blick ganz nach einer Abwicklung aus. Die Rosinen könnte sich unter Umständen ein Investor picken, daraus etwas Neues basteln oder weiter veräußern. 

Meines Erachtens könnte Wirecards Financial Platform, welche auf der letzten Hauptversammlung präsentiert wurde, spannend für SAP, die Allianz oder sogar für die Deutsche Bank sein. SAP könnte mithilfe des Payment-Systems sein ERP-Leistungsangebot erweitern und ein neues Wachstumsfeld im Consumer-Bereich erschließen. Die Allianz bietet meines Wissens in verschiedenen Ländern Payment-Services an und kooperiert in dem Zuge auch mit Wirecard. Außerdem ist die Allianz über ihre Tochtergesellschaft Euler Hermes bereits im Kreditversicherungsgeschäft erfahren und könnte ihr Leistungsangebot hinsichtlich Händlerkredite ausweiten.

Gleichwohl muss erstmal geklärt werden, welche Geschäftszahlen sich tatsächlich hinter dem Geschäftsmodell von Wirecard verbergen. Denn in der Ad-hoc-Meldung vom 22. Juni wurden sämtliche Einschätzungen zu den Geschäftsergebnissen vom Unternehmen kassiert.

Außerdem besteht die Befürchtung, dass das Drittpartnergeschäft, wovon zumindest auf dem Papier ein substanzieller Bestandteil der Umsätze und der Profite stammt, in der Realität nicht existent ist.

Hinzu kommen laut Recherchen von finanz-szene.de rund 1,6 Milliarden Euro an bereits ausgeschöpften Kreditlinien, welche aus einem Bankenkonsortium von 15 Banken stammen. Darin noch nicht berücksichtig ist eine herkömmliche Anleihe mit einem Volumen von 500 Millionen Euro sowie die Softbank-Wandelanleihe (die eigentlich gar keine Softbank-Anleihe sei) in Höhe von 900 Millionen Euro.

Wird nun alles zusammengerechnet und davon ausgegangen, dass das vermeintliche Treuhandguthaben in Höhe von zwei Milliarden Euro gar nicht existiert, ist hier wohl eine Finanzlücke von im schlimmsten Fall mehr als drei Milliarden Euro zu stopfen.

Angesichts dieser Finanzierungslücke, den unsicheren Geschäftszahlen sowie den noch nicht ermittelten weiteren Verbindlichkeiten erscheint die aktuelle Marktkapitalisierung von ca. zwei Milliarden Euro bei einem Aktienkurs von rund 14 Euro für einen potenziellen Käufer vermutlich immer noch zu hoch. Schließlich besteht die Gefahr, dass das Geschäft unprofitabel ist und ohne die Bilanzierungspraktiken Verluste schreibt.

Was bedeutet der Fall Wirecard für Anleger? 

Zunächst einmal ist die Rolle der Börsenaufsicht und die der Wirtschaftsprüfer ebenfalls zu hinterfragen. Insbesondere vor dem Hintergrund, dass EY nicht nur seit Jahren Wirecards Jahresabschlüsse testiert hat, sondern auch beim in China ansässigen Starbucks-Konkurrenten Luckin Coffee negativ aufgefallen ist, wo das Unternehmen 40% seiner Umsätze frei erfunden hat, aber dies dem Wirtschaftsprüfer nicht aufgefallen ist. Infolgedessen ist der Aktienkurs von Luckin Coffe vor ein paar Wochen um rund 90% abgestürzt. Darüber hinaus hatte ich in meinen Wirecard-Artikeln bereits mehrere Male meinen Unmut über die Börsenaufsicht zum Ausdruck gebracht.

Auf verschiedenen Plattformen habe ich gelesen, dass der Fall Wirecard Auswirkungen auf die Anlegerkultur in Deutschland haben könnte. Dieser Aussage würde ich mich nicht anschließen. Schließlich handelt es sich hierbei um einen Sonderfall und das Gewinnen gehört an der Börse ebenso dazu wie das Verlieren.

Gleichwohl ist dies ein Beispiel dafür, dass Anleger Unternehmen meiden sollten, die permanenter Kritik hinsichtlich ihrer Geschäftspraktiken ausgesetzt sind, unabhängig davon, wie spannend sich ihre Wachstumsstory und die Geschäftszahlen anhören – zumindest solange, bis diese Kritiken vom Unternehmen vollumfänglich und zufriedenstellend aus der Welt geräumt sind. Denn realisierte Verluste schmerzen oft mehr als entgangene Gewinne.

Für meinen Teil wird Wirecard vermutlich die letzte nicht US-amerikanische Aktie sein. Zum einen performen nach meiner Beobachtung US-amerikanische Aktien besser als zum Beispiel deutsche, chinesische oder Aktien anderer Länder. Zum anderen liegt aufgrund der größeren Anlegerzahl und der US-amerikanischen Börsenkultur nach meinem Empfinden eine größere Transparenz von US-Unternehmen vor. Im RFD-Wikifolio befindet sich aktuell lediglich Sony als nicht-US-amerikanische Aktie.

Alles in allem finde ich es tragisch (für die Anleger, Mitarbeiter und den Finanzplatz Deutschland), dass eines der wenigen deutschen und europäischen Unternehmen, welches auf einem bedeutenden technologischen Wachstumsmarkt aktiv ist, eine derartige Wendung nehmen musste.

Vielleicht ist alles auch nur ein riesiges Missverständnis. Dieses Geheimnis wird sicher bald gelüftet. Filmreif ist die Story auf jeden Fall.

Dynamische Grüße,

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Güner Soysal, 22.06.2020
Real Financial Dynamics

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Ein Gedanke zu „Wirecard – Vom Highflyer zum Pleitegeier?

  1. Ich war noch nie Fan von Wirecard. Auch was EY da geleistet hat ist wirklich unfassbar. Anscheinend sind die Leute bei EY ein wenig masochistisch veranlagt, denn sie fallen seit Jahren und in vielen Fällen negativ auf. Ich bin wirklich gespannt was da noch alles raus kommt.

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